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„Die Reichen dürfen oben speisen“

von Anett Weigel, Jan Weigel und Dietmar Adams

Fast 2 Jahre hat die Suche nach einem Betreiber für den Fernsehturm gedauert und die Qual der Wahl blieb aus, denn es gab kaum Bewerber für das schwierige Unterfangen. Vorgelegte Machbarkeitsstudien schätzen ein, dass es nahezu unmöglich ist, einen Turm wirtschaftlich zu betreiben,

  • der 13 km vom Stadtzentrum entfernt schwierig zu erreichen ist,
  • für Besucher Dresdens keine Konkurrenz zu den kulturellen Attraktionen der Innenstadt darstellt und
  • dessen Besuch vom Wind und Wetter abhängig ist.

Gebraucht werden für Wirtschaftlichkeit über 200.000 Besucher im Jahr. Die Anwohner der Siedlung am Fernsehturm erinnern sich noch, dass sich früher bei schlechtem Wetter kaum jemand blicken ließ – von November bis Januar „saure Gurken-Zeit“ war und im HO-Turmrestaurant gähnende Leere herrschte. Dafür gab es bei schönem Wetter endlose Warteschlangen, die die Kapazitäten der Liftanlagen und der Besucherplattform bei Weitem überstiegen. Doch DDR-Bürger waren gelernte „Schlangensteher“ und im Sozialismus war „wirtschaftlich“ ein Fremdwort.

Am 23. Juni 2021 war es dann so weit. Die Presse verkündete „eine Dresdner Betreibergesellschaft aus DDV-Mediengruppe, Tourist-Information und Avantgarde übernimmt den Fernsehturm“ mit der Einschätzung „die Betreibersuche hat ein glückliches Ende gefunden“. Alles ist toll, schick, grandios – aber wen wundert es? Kann man jetzt noch mit einer objektiven Berichterstattung rechnen, wo zum Haupt-Akteur „DDV-Mediengruppe“ auch Sächsische.de und die Sächsische Zeitung gehören? Hier hofft man offensichtlich zum Ausgleich der sinkenden Verkaufszahlen im Pressebereich ein neues Standbein zu finden.

Das jedoch wird auf sehr wackeligen Füssen stehen.

Das Konzept setzt auf Brausebar und Multimedia. Also liebe Dresdner: vorbei der Nostalgietraum von Eierschecke mit Blümchenkaffee im Fernsehturmrestaurant, dafür auf die Scheiben des Restaurants projizierte Bilder eines imaginären Dresdens von einst und Bilder der Partnerstädte. Ist es das, wofür der Dresdner gern auf den Turm fährt – auch wenn die offene Plattform keine Aussicht bietet? Auch das Restaurant am Fuße des Turms müsste schon wirklich gut sein, um

selbst bei schlechtem Wetter Gäste anzulocken (als Beispiel: die Wachbergschänke, als historisches Ausflugslokal, ganz in der Nähe, hat es nicht geschafft). Bleibt noch der „Adventure-Teil“ – wie in Toronto soll es für Wagemutige einen Trip auf einer Plattform ohne Geländer geben. Leute? Sind wir denn Toronto oder wollen es sein? Bei uns zulande tritt man für „Adventure“ in den Sächsischen Bergsportverein ein und geht Klettern. Jedenfalls ist dieser „Kick“! sicherlich für die Mehrzahl von uns keine Alternative.

Genauso wenig wie die das buchbare exklusive „Sonnenaufgangsfrühstück“ oder das „Feine Dinner“ –vorbehalten nicht nur einer bestimmten Anzahl von Gästen, sondern auch nur bestimmten Gästen, denn das ist nichts für den normalen Geldbeutel einer Dresdner Familie. Verwiesen wird im Artikel auf den Münchner Fernsehturm: hier kostet ein Sundowner-Cocktail mit mehrgängigem Menü durchaus 100€ pro Person – Getränke extra!

Also, liebe Dresdner: lasst sie Euch schmecken die Bockwurst und/oder Eierschecke am Fuße des Turms, während die Gut-Betuchten an Euch vorbeifahren zum Sun-Downer Dinner. Und wie ist es überhaupt mit den Eintrittsreisen? Denn darüber gab es noch keine Verlautbarung. Muss man zum Beispiel den ganzen Multimedia-Schnurz mitbezahlen, wenn man bloß mal auf die Aussichtsplattform will?

Und noch ein Wort zum Ticket-System: hier verspricht man den Anwohnern den Verkehr zu entzerren – besser planbar zu machen, weil jeder Besucher vorher für einen bestimmten Tag und Zeit ein Ticket buchen soll/muss. Wir sind gespannt, ob das wirklich gleichmäßige Besucherströme gewährleistet, denn am unsicheren Wetter ändert sich nichts und es wird kaum jemand im Voraus buchen und riskieren einen Tag mit schlechter Sicht und/oder Wetter zu erwischen. Und was ist mit den Reiseunternehmen?  Nicht umsonst sollen ganz entgegen zum ursprünglichen Mobilitäts-und Verkehrskonzept nun Busse (auch Reisebusse und Stadtrundfahrten) mitten durch das Wohngebiet bis direkt an den Turm fahren. Eindeutig ist dieses Konzept auf die schnelle Abfertigung von Reiseunternehmen gerichtet auch wenn OB Hilbert meint, es mit dem ungehinderten Zugang für Rollstuhlfahrer begründen zu müssen – das hätte man für diesen Personenkreis auch mit weniger Verschandlung des Landschaftsschutzgebietes lösen können.

Aber zurück zu den Reisegruppen: haben diese Besucher dann Vorrang und besetzen die besten Buchungszeiten?

Aber liebe Dresdner: natürlich werdet auch ihr im Bus bis vor die Tür des Turmes gekarrt – doch wahrscheinlich erst so ab 2030, denn vorher wird die erforderliche Infrastruktur mit den Park & Ride Parkplätzen und Shuttle-Anbindung nicht fertiggestellt sein.

Bis dahin ist das Chaos vorprogrammiert und Besucherlust wird schnell dem Besucherfrust weichen. Es wäre nicht der erste Turm, der nach kurzer Zeit wieder schließen muss. Zurück bleiben dann verschandelte Landschaften und das schlechte Gewissen, Millionen verschleudert zu haben. Auch wenn sich Letzteres wohl wie üblich in Grenzen halten wird, wäre das Geld dann weg, die Betreiber insolvent und der Turm wieder zu. Aber wir können dann wenigstens sagen: der Wille war da!

Oder sollten wir mit den vielen Steuermillionen nicht doch lieber historische Brücken instand halten oder Schulen digitalisieren…?